Übersicht über die steuerrechtlichen Entscheide des Schweizer Bundesgerichts, die zwischen dem 4. - 17. September 2023 publiziert wurden:

  • Urteil vom 17. August 2023 (9C_710/2022) zur Publikation vorgesehen: Staats- und Gemeindesteuern (St. Gallen) und direkte Bundessteuer 2018; Streitgegenstand des Verfahrens ist, ob die Beschwerdeführer A. und B. ihr Beschwerderecht verwirkt haben. In einem Leiturteil aus dem Jahr 2020 (BGE 147 I 325) hat das BGer klargestellt, dass ausserhalb der vorbehaltlosen Anerkennung des Steueranspruchs eine Verwirkung des Beschwerderechts entsprechend dem Charakter des Doppelbesteuerungsverbots als verfassungsmässiges Recht nur mit Zurückhaltung anzunehmen ist, nämlich dann, wenn sich das Verhalten der Steuerpflichtigen geradezu rechtsmissbräuchlich bzw. treuwidrig darstellt. Die verfassungs- und prozessrechtliche Situation hat sich seit der ursprünglichen Entwicklung der Verwirkungspraxis stark verändert. Die interkantonale Doppelbesteuerung betrifft die betroffenen Personen heute stärker, während das Schutzbedürfnis der Kantone abgenommen hat. Die Verwirkung des Beschwerderechts bezweckt in erster Linie den Schutz des erstveranlagenden Kantons. Dieses Interesse rechtfertigt aber nicht, diesen Kanton durch Annahme der Verwirkung des Beschwerderechts bezogenen Steuern behalten zu lassen, zu deren Erhebung er nach harmonisiertem kantonalen Recht nicht berechtigt ist. Noch schwerer wiegt das Interesse des zweitveranlagenden, zur Besteuerung effektiv berechtigten Kantons. Die Verwirkung des Beschwerderechts erweist sich nicht länger als verhältnismässige Massnahme, um treuwidrigem Verhalten einer steuerpflichtigen Person im interkantonalen Verhältnis zu begegnen. Da die Praxis zur Verwirkung des Beschwerderechts nach dem Gesagten aufzugeben ist, erweist sich die Verwirkungseinrede des Kantons Schwyz von vornherein als unbegründet. Die Beseitigung einer grundsätzlich verfassungswidrigen interkantonalen Doppelbesteuerung kann nur dann verweigert werden, wenn sich das Verhalten einer doppelt besteuerten Person als qualifiziert missbräuchlich erweist und der betroffene Kanton zugleich ausnahmsweise ein legitimes Interesse daran hat, bezogene Steuern einzubehalten, obschon er nach interkantonalem Doppelbesteuerungsrecht oder sogar bereits nach harmonisiertem Steuerrecht keinen Steueranspruch hat. Eine solche Ausnahmekonstellation ist vorliegend klarerweise nicht gegeben. Durch ihre Anmeldung im Kanton SZ haben die Beschwerdeführer eine Ursache gesetzt, dass sie dort veranlagt wurden. In diesem Zeitpunkt wussten sie auch, dass der Kanton SG den Wohnsitz untersuchte. Nach Treu und Glauben hätten sie die Veranlagungsbehörde SZ informieren müssen. Diesem Fehlverhalten stehen aber auch Versäumnisse der Behörden gegenüber. Vor diesem Hintergrund ist es angemessen, die Gerichtskosten, trotz Obsiegens der Beschwerdeführer zu 3/4 ihnen aufzuerlegen und 1/4 dem Kanton. Gutheissung der Beschwerde der Steuerpflichtigen.
  • Urteil vom 24. August 2023 (9C_87/2023) – zur Publikation vorgesehen: MWST 2012-2016; Die Steuerpflichtige 2 gehört zusammen mit diversen weiteren Gesellschaften zur Unternehmens- und MWST-Gruppe G (Steuerpflichtige 1). Nach einer Kontrolle rechnete die ESTV den Steuerpflichtigen Mehrwertsteuern auf Umsätzen aus ambulant erbrachten Leistungen im Bereich "Traditionelle Chinesische Medizin" (TCM) auf. Begründet wurde dies – später auch vom Bundesverwaltungsgericht – damit, dass die TCM-Therapeuten im fraglichen Zeitraum nicht über eine Berufsausübungsbewilligung i.S.v. Art. 35 Abs. 1 MWSTV verfügt hätten, weshalb keine ausgenommenen Leistungen nach Art. 21 Abs. 2 Ziff. 3 vorgelegen hätten. Das Bundesgericht schützt dies und hält präzisierend fest, dass es sich beim "Zulassen" i.S.v. Art. 35 Abs. 1 lit. b MWSTV um eine positive Anordnung handeln muss und ein reines Dulden nicht genügt. Daraus wird ersichtlich, dass wegen des Verweises auf die kantonale Gesundheitsgesetzgebung in Art. 35 Abs. 1 lit. b MWSTV eine Leistung, erbracht durch denselben Leistungserbringer mit gleicher Berufsausbildung und Qualifikation – je nach Ort der Leistung, von Kanton zu Kanton unterschiedlich – steuerbar oder von der Steuer ausgenommen ist. Teilweise Gutheissung der Beschwerde der Steuerpflichtigen bezüglich Verjährung der Steuerperiode 2012. Abweisung der Beschwerde der Steuerpflichtigen in Bezug auf die Steuerperioden 2013-2016.
  • Urteil vom 16. August 2023 (9C_663/2022, 9C_664/2022): Staats- und Gemeindesteuern (Basel-Landschaft) und direkte Bundessteuer 2019; Der Streit dreht sich um die Frage, wann - ob vor oder nach seinem Wegzug aus der Schweiz in die USA per 25. Februar 2019 - der Beschwerdeführer den Bestandteil seiner Einkünfte aus unselbständigem Erwerb bildenden Bonus realisiert hat. In den Veranlagungen für die kantonalen Steuern sowie für die direkte Bundessteuer 2019, bei wurde dieser Bonus abzüglich Sozialversicherungsbeiträge vor Abzug der Quellensteuer nicht berücksichtigt. Die Annahme der Realisierung von Einkommen - jedenfalls dann, wenn eine bestimmte Einkunft nicht ohne vorherigen Rechtserwerb (bloss) faktisch (ohne Rechtsgrund, z.B. aufgrund einer deliktischen Handlung) zufliesst - setzt die Entstehung eines festen Anspruchs voraus. Die Ankündigung des Bonus durch den Arbeitgeber mit Hinweis darauf, dass es sich um eine „freiwillige variable Leistung“ handle, auf die der Steuerpflichtige „keinen gesetzlichen oder vertraglichen Anspruch“ habe, führt nicht zu einem festen Anspruch des Beschwerdeführers. Das entsprechende Einkommen wurde mithin nicht am 12. Februar 2019, sondern - zumal vorher keine weiteren, allenfalls einen festen Anspruch begründenden Ankündigungen seitens der Arbeitgeberin erfolgten - erst mit der Auszahlung am 25. März 2019 steuerlich realisiert. Abweisung der Beschwerden des Steuerpflichtigen.
  • Urteil vom 21. August 2023 (9C_342/2023): Staats- und Gemeindesteuern (Bern) und direkte Bundessteuer 2018; Im vorliegenden Fall gelang es dem Steuerpflichtigen nicht darzutun, inwiefern bei ihm ausreichende Gründe für eine Wiederherstellung einer versäumten Einsprachefrist vorliegen. Auch verpasste er die Frist von 30 Tagen nach Wegfall der Hinderungsgründe. Abweisung der Beschwerde des Steuerpflichtigen.
  • Urteil vom 18. August 2023 (9C_612/622): MWST 2015-2017; Die Steuerpflichtige Stiftung bezweckt in der Hauptsache die Unterstützung kirchlicher Arbeit sowie entwicklungspolitischer Projekte für Benachteiligte in der ganzen Welt. Nach einer Kontrolle machte die ESTV unter anderem eine Vorsteuerkorrektur aufgrund nicht-unternehmerischer Tätigkeit sowie eine Vorsteuerkürzung wegen Erhalt von Subventionen geltend und forderte die entsprechenden MWST-Beträge nach. Streitig und zu prüfen war insbesondere, ob die von der Vorinstanz gestützten Vorsteuerkorrekturen der ESTV rechtmässig erfolgten. Das BGer hielt fest, dass von einem nicht-unternehmerischen Bereich erst ausgegangen werden darf, wenn die Trennung ausreichend klar vollzogen werden kann, sei dies aufgrund einer nach aussen deutlich erkennbaren separaten Tätigkeit oder einer klaren Zweckbestimmung, die von jener der unternehmerischen Tätigkeit abweicht. Vorliegend sei eine solche klare Zweckbestimmung, die von jener der unternehmerischen Tätigkeit abweicht, in der Form der Haupttätigkeit der Steuerpflichtigen gegeben und es darf eine Trennung zwischen dem untergeordneten unternehmerischen Bereich (Webshop etc.) und dem prominenten nicht-unternehmerischen Bereich (karitative Tätigkeit) vorgenommen werden. Abweisung der Beschwerde der Steuerpflichtigen.
  • Urteil vom 21. August 2023 (9C_675/2021; 9C_676/2021): Staats- und Gemeindesteuern (Solothurn) und direkte Bundessteuer 2010-2017; Streitig ist, ob die A. GmbH am Ort der tatsächlichen Verwaltung im Kanton SO (und nicht am statutarischen Sitz im Kanton ZG) besteuert werden darf. Der Kanton SO hat vorschriftsgemäss ein Steuerdomizilverfahren durchgeführt und abgeschlossen. Die Vorinstanz stellte fest, dass einzige Gesellschafterin der A. GmbH die C. AG mit Sitz im Kanton SO sei. Die C. AG bezahlt jährliche Lizenz- und Patentgebühren an die A. GmbH. Das wirtschaftliche und strategische Zentrum der Gruppe befinde sich im Kanton SO. Die A. GmbH vermochte keinen Gegenbeweis zu erbringen. Abweisung der Beschwerde der A. GmbH.

Nichteintreten:

Die Auflistung der Entscheide erfolgt chronologisch anhand des Publikationsdatums.